„Ich weiß nie, was mich erwartet –aber ich bin da“
Hohe Belastung, geringe Vergütung, kaum Anerkennung: Hebamme Kristin Wölfel aus Benthe erzählt,warum sie ihren Beruf mit ganzem Herzen ausübt – und trotzdem oft nicht mehr kann.

Große Nachfrage: Hebamme Kristin Wölfel (47) aus Benthe muss vielen schwangeren Frauen absagen.Foto: Catalina Grobe Fernandes
Benthe. Wenn Kristin Wölfel zu einer jungen Familie kommt, wird sie oft schon sehnsüchtig erwartet. An der Tür steht dann eine Mutter, ihr Neugeborenes im Arm. Fragen, Sorgen, Verzweiflung und Erschöpfung – all das mischt sich in der für die Frau noch neuen Situation. „Ich weiß nie, was mich erwartet. Aber ich bin da“, sagt die Hebamme aus der Region Hannover. Seit rund fünf Jahren begleitet sie Frauen durch Schwangerschaft und Wochenbett – zunächst in der Hebammenpraxis „Be a Baby“ in Gehrden, nach deren Schließung nun in Benthe. Es ist ein Beruf, der für sie mehr Berufung als Arbeit ist – und einer, der sie regelmäßig an ihre Grenzen bringt.

„Ich liebe, was ich tue. Aber es zerreißt mich innerlich, wenn ich Frauen absagen muss, weil ich keine Kapazitäten mehr freihabe“, sagt Kristin Wölfel.

Sie betreut im Monat im Schnitt etwa acht Frauen aus dem Gebiet rund um Gehrden. Wenn Schwangere sie im dritten Monat kontaktieren, sei es oft schon zu spät, so Wölfel. „Heutzutage müssten Schwangere sich eigentlich schon bei Hebammen melden, bevor der Gynäkologe von der Schwangerschaft weiß.“

Im Jahr 2019 wurde die Hebammenzentrale Region Hannover eingerichtet, die Schwangere bei der Hebammensuche unterstützen soll. Dennoch ist die Versorgungslage angespannt. Die Schwierigkeiten, eine Hebamme für Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett zu finden, bleiben. Besonders in eher ländlichen Gemeinden wie Seelze ist es problematisch.

Regelmäßig rufen verzweifelte Frauen bei Wölfel an. Die 47-Jährige hat in ihrer Praxis in Benthe in diesem Jahr bereits über 100 Frauen in rund 825 Terminen wie beispielsweise in Kursen, Beratungen oder Wochenbettbesuchen betreut. Ihr Terminkalender ist weiterhin voll. So ist sie schon im Januar im nächsten Jahr ausgebucht.

Die Frauen, die sie betreut, kommen aus der Region Hannover. Unter anderem aus Gehrden, Wennigsen, Barsinghausen, Ronnenberg – und sogar aus Steinhude. Oft nimmt sie Frauen in die Betreuung auf, obwohl sie eigentlich schon ausgebucht ist.

Wölfel betreut pro Monat bis zu zwölf Frauen – mehr schafft sie nicht. Es sind mehr als es die Kapazität ihrer Praxis eigentlich hergibt. „Ich kann schlecht nein sagen“, gibt sie zu. Und trotzdem muss sie es immer wieder tun – „Heute musste ich viermal absagen“, so Wölfel. Was sie trotz allem immer wieder antreibt? „Die Dankbarkeit und Anerkennung, die ich von den Frauen erfahre.“

Der Tag beginnt für Wölfel früh und endet spät: Bei „ihrer Runde“ macht sich die Hebamme auf dem Weg zu den Frauen im Wochenbett. Bei der Autofahrt gibt es immer wieder Telefonate mit Frauen, die sie betreut. Nach den Hausbesuchen – mit Windelkontrolle, Stillhilfe, Rückbildungsfragen und Tränen – geht es zurück an den Schreibtisch. Abrechnungen, Dokumentation, E-Mails. „Die Büroarbeit ist am zeitaufwändigsten. Deshalb sitze ich bis spätabends am Rechner“, erzählt die Hebamme. Die Bezahlung ist knapp kalkuliert: Für einen Wochenbettbesuch erhält sie knapp 40 Euro – brutto. Damit sich die Hausbesuche lohnen, müsste die Hebamme nach etwa 20 Minuten fertig sein. „Aber ich kann nicht abschätzen, wie lange so ein Besuch dauert.“ Gerade bei Frauen, die zum ersten Mal Mutter sind, könne ein solcher Hausbesuch auch mal ein bis drei Stunden dauern, so Wölfel.

Hinzu kommen noch diverse Versicherungen, die sie abschließen muss. Laut Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), können Haftpflichtversicherungen für Hebammen über 12.000 Euro im Jahr kosten. Der Verdienst fällt auch bei viel Einsatz gering aus, denn: „Je mehr Arbeit geleistet wird, desto höher die Abschläge beim Finanzamt“, erklärt Wölfel. Die finanziellen Belastungen führen dazu, dass Hebammen ihre Tätigkeit einschränken oder den Job ganz aufgeben. Laut Deutschem Hebammenverband (DHV), liegt der durchschnittliche Verbleib einer Hebamme im Beruf je nach Bundesland bei nur vier bis sieben Jahren, in der klinischen Geburtshilfe ist dieser Zeitraum sogar deutlich kürzer.

Einen Ausfall bei Krankheit kann sich Wölfel nicht leisten. „Dann verdiene ich nichts und die Mütter erhalten keinen Beistand.“ Streiken sei für sie und andere Hebammen keine Option. „Das ginge nur zulasten der Frauen, Kliniken und Ärzte“, meint die Hebamme aus Benthe.

Hebammen erleben das Leben in seiner intensivsten Form. „Glück und Leid liegen nah beieinander“, weiß Wölfel. Sie erinnert sich dabei auch an traurige Fälle, bei denen Frauen sich erst bei ihr melden, und dann plötzlich wieder absagen – „Eine Frau konnte fünfmal das Baby nicht behalten“, sagt sie. Auch die Verzweiflung von Eltern, die „nicht gesunde Kindern großziehen“, nimmt sie mit. Diese Erfahrungen lassen sich nicht einfach abschütteln. „Es ist ein emotionaler Job und wir Hebammen tragen viel mit uns mit.“ Eine Supervision oder psychologische Hilfe? Gibt es kaum – „und schon gar nicht bezahlt.“ Wölfel stützt sich dabei auf ihre Familie oder den Austausch und den Zusammenhalt mit anderen Kolleginnen.

Durch das Hebammenreformgesetz des Bundesministeriums für Gesundheit ist seit 2020 die Ausbildung zur Hebamme ein Studium. Deutschland war damit das letzte Land in der Europäischen Union, das die Hebammenausbildung akademisiert hat.

Diese Änderung der Hebammenausbildung soll die Qualität der Ausbildung verbessern, stellt jedoch auch neue Anforderungen an die Ausbildungsstätten und Studierenden. „Im Grunde ist das eine gute Sache“, sagt Wölfel. Doch das Studium dauert acht Semester. „Die ersten Nachwuchskräfte kommen jetzt erst.“ Viele würden zudem überlegen, ganz aufzuhören, bevor sie richtig angefangen haben, so Wölfel. Forschungsarbeit sei im Vergleich attraktiver und würde sich finanziell mehr lohnen.

„Ich wünsche mir eine gerechte Bezahlung“, sagt Wölfel. Sie fordert weiterhin „mehr Sichtbarkeit für den Job und genug Zeit für die Betreuung der Frauen. Und: „Dass wir nicht ständig kämpfen müssen: um Anerkennung, um Termine, um Durchhaltevermögen.“

So gehe es in vielen Debatten um die Jobs der Pflegekräfte – an Hebammen würde hingegen nicht gedacht. „Wir sind in vielen Belangen auf dem Abstellgleis“, so die Hebamme. Die Einrichtung der Hebammenzentrale in der Region Hannover sei ein guter Schritt gewesen. Aber es fehle weiter an vielem: an Räumen, Nachwuchs und politischen Lösungen. „Wenn wir Hebammen verschwinden, merken es alle – aber dann ist es zu spät“, macht sie deutlich.

Doch wenn Kristin Wölfel aber über ihre Arbeit spricht, leuchten auch ihre Augen. Sie brennt für den Hebammenberuf. Obwohl sie dafür auszubrennen droht, sagt sie: „Das ist immer noch der schönste Job der Welt.“

Druckansicht