Streuobstwiesen sind laut Bund Naturschutz traditionelle Flächen, auf denen hochstämmige Obstbäume (meist über 1,60 Meter) verschiedener Arten und Sorten verstreut auf einer Wiese stehen – daher der Name „Streuobst“. Im Gegensatz zu Plantagen wachsen dort unterschiedliche, oft alte und regionale Sorten (wie Äpfel, Birnen, Kirschen, Pflaumen oder Walnüsse) mit größeren Abständen zwischen den Bäumen. In der Regel werden dabei kaum Dünger und Pestizide eingesetzt.
Marx’ neues Auftragsprojekt soll genau das werden. Dafür hat er bereits zehn Obstbäume in einem Karree auf dem Platz angepflanzt. In Zukunft soll es hier Kirschen, Birnen, Äpfel und auch Quitten zu ernten geben. Viele der Obstsorten, die Marx gepflanzt hat, sind alt. „Einige Sorten davon sind schon fast in Vergessenheit geraten. Die Auswahl auf dieser Wiese halte ich daher für sehr fördernswert“, sagt der Gärtner, während er auf die gepflanzten Bäume deutet. Um die natürliche Bestäubung der Streuobstwiese sollen sich unter anderem Bienen kümmern. Dafür platziert Marx ein Bienenhotel in die Mitte der Wiese. „So ist die Wiese gut genutzt“, findet Marx.
Mit einem Sack gefüllt mit Schafswolle macht sich Obstbaumpfleger Marx auf den Weg zu seinen jungen Bäumen. Er macht an jedem Baum halt, inspiziert ihn und legt die Schafswolle unter jedem Baum aus. Die Wolle sieht anschließend aus wie ein weiches, flauschiges Nest.
Auf die Frage, was Schafswolle mit Gartenarbeiten zu tun hätte, schmunzelt der sonnengebräunte Gärtner. „Ich arbeite im Einklang mit der Natur. Ich will natürlicher gärtnern, das ist mein Motto.“ Schafswolle habe dabei viele Vorteile: Sie diene der Pflanze unter anderem als Wasserspeicher, hemme die Verdunstung und schütze die Pflanze. Die verwendete Wolle sei eigentlich ein Abfallprodukt. „Sie ist zu stark verschmutzt und kann nicht mehr versponnen werden“, erklärt der Pflanzenexperte. Der Mix aus Kotresten der Schafe und dem in der Wolle enthaltene Keratin machen Schafswolle zu einem organischen Langzeitdünger. „Es ist eine sehr alte, aber effektive, ökologische Methode.“
Der Ingenieur für Bioverfahrenstechnik ist überzeugt: Wenn es um Arten- und Naturschutz gehe, werde die Rückbesinnung auf bewährtes, altes Wissen um die Bewirtschaftung von Acker- und Grünflächen immer wichtiger. Das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL) bezeichnet die Kombination aus Rückbesinnung auf alte Agrarsysteme und aktueller landwirtschaftlicher Produktionstechnik als „Agroforstwirtschaft“. Laut BZL hätten Klimawandel und „Biodiversitätsverluste“ nachhaltige Landnutzungssysteme stärker in den Fokus gerückt.
Aus städtischer Sicht wird der Gedanke der Biodiversität öffentlicher Orte auch mit der sogenannten Kompensationsfläche für Bauvorhaben verbunden. Die Wiese neben dem Friedhof in Benthe zum Beispiel wird von der Stadt Ronnenberg als Ausgleichsfläche für Bauvorhaben behandelt.
„Denn wenn in Deutschland ein Bauvorhaben umgesetzt wird, wird dabei fast zwangsläufig Natur zerstört“, sagt die Stadtverwaltung. Gemäß der Kompensationsverordnung sorgen diese Flächen dafür, dass der Eingriff und die damit einhergehende Zerstörung der Natur so gering wie möglich ausfällt. Die neue in Auftrag gegebene Streuobstwiese in Bethe sei jedoch noch keiner konkreten Baumaßnahme zugeordnet, heißt es vom Stadtsprecher. In diesem Fall agiere die Stadt frühzeitig mit Blick auf künftige Bauvorhaben.
Für die Kompensationsfläche am Friedhof in Benthe arbeitet die Stadt mit der Ortsgruppe Gehrden/Benthe des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu) zusammen. „Initiativen wie diese sind absolut positiv für Mensch, Tier und Umwelt“, findet Gehrdens Nabu-Vorsitzende Gisela Wicke.