Noa Wessel und Jonas Vietzke (Spiel, Musik und Video), Reiner Müller (Regie) sowie Fabian Wessel (Technik und Ausstattung) trauen sich etwas. Ihr Stück „Gilgamesch. Jenseits von Uruk“ basiert auf einer etwa 6000 Jahre alten Erzählung, die im dritten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung in Keilschrift auf Tontafeln festgehalten wurde.
In dem Epos tyrannisiert König Gilgamesch die Menschen in der Wüstenstadt Uruk. In ihrer Not rufen sie die Götter um Hilfe – und die finden einen erstaunlichen Weg. Sie schaffen ein Spiegelbild für Gilgamesch: einen wilden Menschen, der mit den Tieren in der Steppe lebt. Er ist das Gegengewicht zum kultivierten und zivilisierten Gilgamesch und doch dem großen König in allem ebenbürtig. Die Begegnung der beiden Männer ist der Beginn einer großen Freundschaft. Es geht in der Geschichte um den kindlichen Wunsch nach Unsterblichkeit, das ungebremste Verlangen, sich die Natur zu unterwerfen und den göttlichen Willen zu durchbrechen – woran Gilgamesch letztlich aber scheitert.
Das auf Abertausenden von Tontafeln für die Nachwelt festgehaltene Epos als eineinhalbstündiges Bühnenstück zu inszenieren – für die Schauspielgruppe ist das ein ebenso reiz- wie anspruchsvolles Projekt. „Die Themen sind nach 6000 Jahren immer noch erstaunlich aktuell“, sagt Noa Wessel und nennt Beispiele: „Machtfantasien von Staatsoberhäuptern, der egoistische Wunsch, die Naturgesetze zu überwinden, und die existenzielle Konkurrenz zwischen Kultur und Natur.“
Mit dem Bau Uruks, einer Stadt mitten in der Wüste, habe sich Gilgamesch ein Monument gesetzt, sich quasi unsterblich machen wollen. Wessel zieht die Parallele in die Gegenwart zu der in Saudi-Arabien geplanten Megacity „The Line“. „Nach 6000 Jahren haben wir immer noch die gleichen Probleme – und finden die gleichen Lösungen“, so der Eindruck der Theatergruppe.
Mehr als ein Jahr hat das nur vierköpfige Team in die Vorbereitungen investiert und sich durch unzählige Verse in altertümlicher Sprache geackert. Auch für die erfahrene Schauspielgruppe ist das keine leichte Kost. „Die Erzählung hat nicht die klassische Dramaturgie. Außerdem gibt es Lücken, weil bis heute noch nicht alle Tafeln gefunden wurden“, erläutert Regisseur Reiner Müller.
Die Jahrtausende von Jahren alten Überlieferungen zu verstehen, in die heutige Sprache zu übertragen und für ein breites Publikum zu inszenieren, mache das Stück zur bislang größten Herausforderung des Ensembles. „Damit wollen wir auch junge Menschen abholen“, betont Noa Wessel. Für Schulen sind Sondervorstellungen geplant.
Im vergangenen Sommer war das Theater zwischen den Dörfern von Bredenbeck nach Wennigsen gezogen: raus aus der kleinen Spielstätte im einstigen Schullandheim am Steinkrüger Weg, rein ins HausDrei, wie der ehemalige Rossmann-Markt mitten im Ortszentrum seitdem heißt. Der Umzug erwies sich als Glücksfall für das vor mehr als 20 Jahren gegründete Ensemble. Denn die großzügige Ladenfläche eröffnet neue Möglichkeiten, den Inszenierungen im Wortsinn mehr Raum zu geben.
Mit der Eigenproduktion „Gilgamesch. Jenseits von Uruk“ wird dieses Potenzial jetzt ausgeschöpft. „Es ist das erste Stück, das wir in und für diesen Raum inszenieren. Wir haben das Foyer verkleinert und dafür die Bühne erweitert“, erklärt Fabian Wessel, der im Team für die technische Ausstattung zuständig ist.
Reduziert, aber ausdrucksstark ist der Einsatz von Requisiten. Aus der Decke rieselnder Sand stellt nicht nur die offensichtliche Verbindung zur Wüstenlandschaft her. Er symbolisiert auch die Zeit, die Gilgamesch förmlich durch die Finger rinnt. Und der an einer Stange hängende Tropf steht gewissermaßen für den Erhalt des eigenen Lebens, an das sich der König mit seinem Wunsch nach Unsterblichkeit klammert.
Ansonsten verzichtet Wessel auf ein aufwendiges Bühnenbild. Stattdessen erzählt der Bühnensound einen Großteil der Geschichte. „Wir schaffen eine Atmosphäre, die den Raum akustisch verändert. Wüste und Steppe entstehen im Kopf durch den Sound“, erklärt er.
Weitere Aufführungen sindreserviert werden.