Für den ein oder anderen Patienten mag es überraschend kommen, dass Rädisch als Hausarzt aufhört. Für ihn selbst, sagt er, sei es absehbar gewesen. In dem neuen Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) von Wittum & Eriksen an der Stoppstraße in Egestorf, an das er seine Praxis vor einem Dreivierteljahr verkaufte und wo er seitdem angestellt war, arbeitete er zuletzt ohnehin nur noch zwei Tage in der Woche. Auch seine Egestorfer Kolleginnen Tanja Bauer-Ndoumbe und Erika Pagallies sind diesen Weg gegangen und arbeiten in dem neuen MVZ unter einem Dach zusammen. Folker Siebert, der anfangs auch dazugehörte, ist seit Kurzem im Ruhestand.
Als er das Angebot vom MVZ bekommen habe, habe er sehr schnell Ja gesagt, sagt Rädisch. Vor allem die bürokratische Arbeitslast sei Grund dafür gewesen, zu verkaufen. Denn er bedauert: „Als Hausarzt mit einer Einzelpraxis muss man so viel nebenbei regeln, dass die eigentliche Arbeit und unsere Zeit am Patienten unterm Strich immer weniger wird.“
Hinzu kam, dass Rädisch von Patienten nicht nur verbal, sondern auch tätlich angegriffen wurde. Der 58-Jährige erinnert sich an eine Situation vor etwa eineinhalb Jahren, wo ein Vertretungspatient gewalttätig gegenüber ihm wurde, weil er keine Betäubungsmittel verschrieben bekam. Dieser Patient habe nicht belegen können, dass er Anspruch darauf hat. Und als Arzt sehe er sich hier in einer Verantwortung, sagt Rädisch. Mehreren Patienten habe er in den letzten Jahren Hausverbot erteilt, weil sie übergriffig geworden seien. „Ich hatte ernsthaft überlegt, mir Security zu holen, gerade wenn ich wieder Vertretung machen musste.“
An seiner Liebe zum Arztberuf hat nichts von alledem aber geändert. „Ich wollte schon immer Pflaster kleben und Menschen beiseitestehen“, sagt Rädisch. Mit 13 habe er seinen ersten Sanitäterschein gemacht, hier in Barsinghausen beim ASB. Dort habe er dann später auch Rettungsmedizin gelernt, erzählt Rädisch. Auch aktuell fahre er wieder ab und zu als Notarzt. Ansonsten konzentriert sich Rädisch nun aber voll und ganz auf die Palliativmedizin.
„Darin arbeite ich nun hauptberuflich, in mehreren Netzwerken, nach wie vor auch in Barsinghausen“, sagt er. Das Palliativnetz Deister-Vorland hat Rädisch hier vor fünf Jahren mit gegründet und aufgebaut. Über 400 todkranke Menschen hat es auf ihrem allerletzten Weg bereits begleitet. Das Einzugsgebiet umfasst Barsinghausen, Empelde, Ronnenberg, Garbsen, Seelze und das Umland von Springe.
Er finde es schön, sein Leben beruflich noch mal so auf den Kopf zu stellen, sagt Rädisch. In alleiniger Verantwortung betreut er aktuell 30 Palliativpatienten. Er arbeite aber auch noch in einer Praxis mit, die zwei große Pflegeheime versorge. Rädisch wirbt dafür. „Man kann mit einer guten palliativen Anbindung von Heimen dafür sorgen, dass Menschen nicht das x-te Mal ins Krankenhaus kommen, wenn sie das nicht mehr wollen“, sagt er.
Rädisch findet: Man müsse mit Patienten und auch Angehörigen frühzeitig darüber sprechen, dass es auch die Alternative gibt, mal nichts zu tun. „Das Leben einfach so laufen lassen, wie es von Natur aus läuft“, sagt er. Die Palliativmedizin in Heimen sei dabei eine ganz andere Versorgung als in der ambulanten Betreuung, wo man hauptsächlich Krebspatienten habe. „Gerade für Menschen, die dement sind, ist ein Krankenhausaufenthalt zum Beispiel eine große Belastung“, weiß Rädisch.
Durch die Mitarbeit in verschiedenen Gremien wie der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin und der Hospizstiftung Niedersachsen, wo er im Vorstand ist, macht sich Rädisch auch auf politischer Ebene dafür stark, dass die Strukturen, wie sie jetzt sind, verbessert werden, mindestens aber erhalten bleiben.
Die Palliativmedizin, sagt Rädisch, sei für ihn die „Königsdisziplin der Medizin“ und ihm eine Herzensangelegenheit. Akutes Leid zu lindern – das sei schon immer das gewesen, was ihm am meisten an seinem Beruf gefallen habe. Ob es nun der Migränepatient war, dem er eine Spritze gegeben habe, oder der Krebspatient, dem er eine ordentliche Schmerzpumpe verschreibe. Doch wie viel Patientenleid kann ein Arzt eigentlich ertragen? Rädisch versucht hier, eine Distanz zur Tätigkeit zu gewinnen und klare Grenzen zu ziehen. „Ich fühle mit, aber ich leide nicht mit“, sagt er. Trotzdem gebe es manchmal Bereiche, wo das nicht ganz so leicht sei, gesteht er. So wie vor drei Jahren, als er einen guten Freund behandelt habe. Das sei sehr schwer gewesen.