Sie habe damals, nachdem ihre Schwester gestorben sei und sie sich in dieser Situation ziemlich alleingelassen gefühlt hatte, eigentlich zunächst nur die Ausbildung schon mal mitgemacht haben wollen. Dies ist ein Kurs über mehrere Wochen, wie er jetzt auch im September wieder losgeht. „Nach meiner Ausbildung hat sich das Ganze dann aber doch sehr schnell, sehr intensiv entwickelt und es gibt eigentlich keine Zeit, in der ich nicht mindestens in einer Sterbebegleitung bin“, erzählt Behrens.
„Es sind viele Menschen, die ich begleitet habe“, sagt die 58-Jährige. Wie viele genau? Ehrlicherweise könne sie das gar nicht mehr zählen, muss sie zugeben. Manchmal dauerten die Begleitungen nur ganz kurz, wenige Tage. Es können aber auch Monate sein. Mit dem Mann, den sie aktuell begleite, sei sie seit über einem Jahr in Kontakt.
Der hat eine akute Herzherzinsuffizienz. Sein Herz hat eine Leistung von nur noch 30 Prozent. „Am Anfang war er wie gelähmt von dieser Diagnose“, sagt Behrens. Im Laufe der Monate habe er aber mit vielen guten Gesprächen, nicht nur mit ihr, auch mit anderen Menschen, wieder einen positiven Blick bekommen. Nicht mehr: Wie viele Tage habe ich noch? Sondern: Was möchte ich mit der Zeit anfangen, dir mir noch bleibt? Sein Zustand habe sich inzwischen glücklicherweise wieder deutlich verbessert, sagt Behrens. Aktuell brauche er weder ein Sauerstoffgerät noch einen Rollator.
Momentan, wo es dem Mann etwas besser ginge, besucht Behrens ihn alle 14 Tage. Am Anfang war es einmal in der Woche, manchmal sogar zweimal und im Prinzip auf Abruf, weil auch dessen Frau die neue Situation verarbeiten musste. Die ehrenamtlichen Sterbegleiter sind nicht nur für die Betroffenen da, sondern auch für die Angehörigen. „Und da ist oft ganz viel Gesprächsbedarf“, sagt Behrens.
So verschieden, wie die Menschen und Situationen sind, sei tatsächlich auch die Zeit, die man in den Familien verbringe. „Das lässt sich nicht timen, wie ein Sportverein“, vergleicht Behrens. Und: Man muss viel aushalten können in einer Sterbebegleitung. „Da ist eine hohe Emotionalität da, da ist auch ein Stück weit – gerade wenn sie jüngere Menschen begleite – Verzweiflung da. Da ist ganz viel Traurigkeit da. Manchmal auch Streitereien in der Familie“, sagt sie.
Oft müsse man einfach nur zuhören. In der Ausbildung zur Sterbebegleitung sei dies deswegen auch ein ganz großer Baustein. Lernen, aktiv zuzuhören. Aus den Begleitungen zieht Behrens auch für sich eine Menge raus. Ja, es sei eine schlimme Situation, aber man lerne unglaublich viel von jedem, den man begleite, sagt sie. Höre Lebensgeschichten. „Manchmal bin ich müde vom Tag. Komme dann aber energievoll, mit ganz viel Erfüllung, wieder raus aus so einem Besuch, weil auch viel Dankbarkeit da ist“, sagt Behrens.
Claudia Bolte, die leitende Koordinatorin im „Aufgefangen”-Team, bezeichnet es als „geschenkte Zeit“. Einfach da zu sein, sagt sie. „Es gibt viele Wege, wie jemand zu uns kommt.“ So gebe es immer die Möglichkeit, dass die Betroffenen selber Kontakt zum Lebenshaus in Barsinghausen aufnehmen können und sich hier melden. Manchmal stünde auch jemand vor der Tür als Angehöriger. Oft seien es aber auch Netzwerkpartner wie Palliativdienste und Pflegeeinrichtungen. „Wir begleiten Menschen zu Hause, in Krankenhäusern und in Pflegeeinrichtungen“, erklärt Bolte. Deswegen rufen auch Ärzte an, wenn sie zum Beispiel jemanden in ihrer Behandlung haben und sehen, da wäre eine hospizliche Unterstützung das, was jetzt hier stimmig oder auch gewünscht wäre. Was die Situation zu Hause entlasten würde.
Im Moment begleitet das Team des ambulanten Hospizdienstes „Aufgefangen“ 58 Menschen. Übers Jahr sind es etwa 110 bei 59 aktiven Ehrenamtlichen. Auch für Menschen, die nicht mehr reagieren können, ließe sich noch so viel Gutes tun, hat Sterbebegleiterin Behrens gelernt. Eine Berührung. Kleine Massagen der Hand. Manchmal singe sie oder lese etwas vor. „Allein das Gefühl, da ist jemand bei mir im Raum und ich bin nicht allein, nimmt die Angst.“
Oft sei eine Begleitung auch nicht gleich mit dem Tod beendet. „Wenn die Familie es wünscht, bin ich auch da, wenn eingesargt wird“, erzählt Behrens. Was sich bei ihr selbst durch die Sterbebegleitung geändert habe? „Ich genieße mehr den Moment“, sagt sie. Und sei es, auf der Terrasse eine Tasse Kaffee zu trinken und den flatternden Blumen im Wind zuzusehen.