„Ich habe großen Respekt davor“, erzählt Feuerwehrmann Timo Roß über das Training in schwindelerregender Höhe. Der 33-jährige Gehrdener ist einer der zehn Teilnehmer des zweiten Lehrgangs. Damit im Ernstfall jeder Handgriff sitze, brauche es „umfassendes Wissen, Konzentration und einen kühlen Kopf“.
Insgesamt 24 Feuerwehrleute werden an dem sogenannten Hubrettungsfahrzeug samt Drehleiter geschult. Sie alle erfüllen die verpflichtenden Voraussetzungen. Dazu gehören unter anderem ein LKW-Führerschein, spezielle Ausbildungsmodule – und keine Höhenangst. Bestehen alle den Lehrgang, beherrscht im Gehrdener Stadtgebiet von insgesamt 85 Einsatzkräften am Ende knapp ein Drittel den Umgang mit dem komplexen Gerät.
Dafür stehen in den Spezialtrainings neben theoretischen Grundlagen auch praktische Übungen an realen Objekten im Mittelpunkt, insbesondere an hohen Gebäuden in der Gehrdener Kernstadt sowie auf dem Gelände der ehemaligen Grundschule am Castrum. Bis zu 30 Meter hoch kann die neue Drehleiter ausgefahren werden – das entspricht einem etwa zehnstöckigen Haus.
Pressesprecher Rainer Kunze weiß um die Herausforderungen der 16 Tonnen schweren Technik. „Oben zu stehen fühlt sich ungewöhnlich an und ist eine mentale Herausforderung“, sagt der erfahrene Berufsfeuerwehrmann, der seit 1981 im Einsatzdienst und in der technischen Leitung der Feuerwehr eingebunden ist. Das Schwanken der Leiter und der freie Blick nach unten sei für viele anfangs schwer. Doch mit mehr Übung verschwinde nach und nach das Schwindelgefühl. „Festhalten hilft“, sagt Kunze dazu nüchtern. Die Drehleiter ist ein entscheidendes Rettungsgerät. Sie kommt zum Einsatz, wenn Menschen aus oberen Stockwerken gerettet, Brände an schwer zugänglichen Stellen bekämpft oder technische Hilfe beispielsweise bei Sturmschäden geleistet werden müssen. Die Kernaufgabe sei jedoch, den sogenannten zweiten Rettungsweg zu sichern, so Kunze. Die Leiter mache die Wege kürzer und die Rettung schneller. „Einsätze ab dem dritten Obergeschoss erfordern eine Drehleiter. In Gehrden gibt es mehr als 100 Gebäude, auf die das zutrifft.“
Die Feuerwehr Gehrden rückt jedes Jahr zu 120 bis 150 Einsätzen aus. In drei bis fünf Fällen müssen Menschen mit einer Trage per Drehleiter aus großer Höhe gerettet werden. Auch bei etwa drei Bränden pro Jahr wird laut Kunze eine Drehleiter benötigt. Bisher hat die Feuerwehr dafür die Leiter der Kollegen aus Ronnenberg anfordern müssen.
Die neue Drehleiter der Gehrdener verfügt über modernste Technik: per Joystick steuerbar und mit bis zu 30 Metern Arbeitshöhe sowie einer Tragkraft für Rettungskörbe, die auch schwer verletzte Personen sicher transportieren kann. Die präzise Ausrichtung der Leiter auf engem Raum erfordere viel Übung, betont Kunze.
So trägt die derzeitige Ausbildung den Titel „Mehr Wissen, mehr Sicherheit und Vorteile im Einsatz“ und wird von Spezialisten begleitet. Die Kurse vermitteln ein festes Einsatzschema: Wo stellt man die Leiter auf? Welche Position ist optimal? Wie läuft die Rettung verletzter Personen? Neben Theorie und Praxis müssen die Teilnehmer auch zwei Prüfungen bestehen, bevor sie im Einsatz mit der Drehleiter arbeiten dürfen.
Mit der Anschaffung des neuen Hubrettungsfahrzeugs hat die Stadt 975.000 Euro in die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger investiert – zumindest theoretisch. Denn bei den Übungen fällt auf: Die Burgbergstadt hat offensichtlich ein Parkproblem. Besonders in der Innenstadt sind Straßen eng, die Parkplätze rar. Ist der neue, zehn Meter lange Feuerwehrwagen zur Einsatzstelle unterwegs, werden zugeparkte Straßen und Autos im Halteverbot zu einem Hindernis, das Manövrieren des Wagens zeitaufwendig.
„Das ist eine Situation, die unter Zeitdruck zu einem Risiko werden kann“, betont Feuerwehrmann Kunze. Er verstehe, dass der „Parkdruck“ bei Anwohnern gerade zum Feierabend hoch sei. „Aber in Notsituationen zählt wirklich jede Minute.“ Die Feuerwehr ist folglich auf die Mithilfe der Bevölkerung angewiesen, in engen Straßen ausreichend Platz zu lassen.
Doch bis die neue Drehleiter erstmals zum Rettungseinsatz kommt, wird es noch etwas dauern. „Voraussichtlich bis Ende Juli oder August“, schätzt Kunze. Bis dahin sollten alle Lehrgänge für den Ernstfall abgeschlossen sein. So lange wird die Schwerpunktfeuerwehr weiterhin an hohen Gebäuden regelmäßig üben – und bittet Anwohner um Verständnis, falls es dabei zu Geräuschen oder Einschränkungen kommen sollte.