Doch so sehr alle drei ihre Arbeit mögen, so stark belasten viele Probleme den Arbeitsalltag. „Der Arbeitsanfall hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen“, sagt Ralf Heiming, der mittlerweile bis zu 60 Stunden die Woche arbeitet. Allein die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen ist von acht auf 14 gestiegen und auch die Impfungen haben sich in den vergangenen drei Jahrzehnten fast verdoppelt. „Die Zahl der betreuten Kinder ist in den vergangenen 25 Jahren auch immer weiter gewachsen“, sagt der Kinderarzt. Rund 2500 gesetzlich versicherte Kinder besuchen seine Praxis pro Quartal. All das führt zu langen Wartezeiten.
Laut der sogenannten Bedarfsplanung für die gesamte Region Hannover gibt es aber sogar eine Überversorgung mit Kinderärzten. Doch wie kann es eine Überversorgung geben, wenn allein Barsinghausen nur drei niedergelassene Kinderärzte verteilt auf zwei Stellen in einer einzigen Praxis hat?
Die Bedarfe stimmen nicht mit den Bedürfnissen überein, so Heiming. „Wir sind zu wenig Ärzte, um dem Bedarf gerecht zu werden“, sagt er deutlich. An einem durchschnittlichen Tag werden rund 120 Kinder in seiner Praxis vorstellig. „Steigen die Zahlen weiter, können wir uns nicht so viel Zeit nehmen und die Qualität leidet irgendwann darunter“, sagt er. Die Arbeit müsse besser verteilt werden. Wie die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) mitteilt, werden zum Beispiel mittlerweile viele Behandlungen, die früher in Kliniken gemacht wurden, beim Kinder- und Jugendarzt durchgeführt. „Die Ärzte versorgen Kinder und Jugendliche mit Herzfehlern, schweren Allergien, Lungenkrankheiten und Rheuma“, sagt KVN-Sprecher Detlef Haffke. Hinzukomme, dass Ärzte immer mehr Kinder mit auffälligem Verhalten, Entwicklungs- oder Sprachproblemen in der Praxis sehen.
Das heißt im Umkehrschluss: Auf einen kleinen Patienten kommen durch die Behandlung anderer Krankheiten, die Impfungen und Vorsorgen immer mehr Termine. All das führe in einzelnen Regionen zur Überlastung der Praxen. Vor allem in den ländlichen Regionen kommt es deswegen zu massiven Problemen bis hin zu Aufnahmestopps. Die Konsequenz: Eltern müssen noch länger auf Termine warten und noch weitere Wege auf sich nehmen.
Allein die Bedarfsplanung anzupassen und so die Möglichkeit für mehr niedergelassene Kinderärzte zu schaffen, würde das Problem aber nicht lösen. „Wir finden keine Leute, die es machen“, sagt Heiming. Die Zahl der Medizinabsolventen sei seinen Angaben nach zwar konstant. „Doch erfreulicherweise sind das immer mehr Frauen, die jedoch selber Kinder haben und auch heute häufig in Teilzeit arbeiten.“ Es müssen familienfreundlichere Modelle gefunden werden. Das bestätigt auch Haffke. Auf eine Arztstelle werden mittlerweile 1,6 Nachfolger gesucht. „Das liegt an verstärkter Teilzeitarbeit und an verstärkter Angestelltentätigkeit in Praxen mit geregelter Urlaubszeit und Wochenarbeitszeit“, sagt der KVN-Sprecher. Heiming kritisiert zudem die strengen Zugänge zum Medizinstudium. „Das System muss mehr Menschen ausbilden und dafür auch die Voraussetzungen wie den Numerus clausus anpassen.“
Das Problem mit fehlenden Ärzten wird auch in Zukunft weiter steigen. Der Altersdurchschnitt liegt bei 54 Jahren, so Haffke. Die KVN rechnet damit, dass aufgrund des Alters in den kommenden zehn bis 15 Jahre ein Großteil der Ärztinnen und Ärzte aus dem Berufsleben ausscheiden wird. „Dass die Lücke geschlossen werden kann, ist unwahrscheinlich“, so Haffke. Zumal sich viele Medizinstudenten mittlerweile für andere Fachrichtungen als die des Kinder- und Jugendarztes entscheiden. „Das liegt auch an den im Vergleich zu anderen Facharztgruppen geringeren Honorarumsätzen“, sagt Haffke.
Für Heiming und seine Kolleginnen geht es also weiter mit dem Pensum. Und das, obwohl Heiming eigentlich schon längst kürzertreten wollte. „Aber wir fühlen uns verpflichtet, für die Kinder da zu sein.“ Und da bleibt dann auch manchmal sogar die Mittagspause auf der Strecke. „Bis zum Rentenalter werden wir noch durchpowern“, sagt er.
Wünschen würde er sich allerdings frühzeitig einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden. „Ich möchte gerne einen fließenden Übergang der Praxis ermöglichen“, sagt er. Bleibt nur zu hoffen, dass sich schnell etwas ändert, indem die Bedarfe den Bedürfnissen der Patienten angepasst und mehr Studienplätze geschaffen werden. „Und all das am Ende zu akzeptablen Arbeitsbedingungen“, sagt Heiming.