Gemeinsam gegen die Sucht
In der Gruppe 77 unterstützen sich Betroffene und deren Angehörige gegenseitig

Hilfe zur Selbsthilfe bei Sucht: Ursula Japtok und Rüdiger Seidel vom Vorstand der Gruppe 77 sind selbst betroffen und gehen offen mit ihrer Erkrankung um. Foto: Maike del Rio
Barsinghausen. „Die Tür ist immer offen, damit niemand den Mut verliert. Die fünf Stufen bis dorthin waren damals auch für mich schon schwer genug.“ Ursula Japtok, die zweite Vorsitzende der Gruppe 77, weiß, wovon sie redet, wenn sie den Weg zu den Räumen der Gruppe in der Osterstraße in Barsinghausen schildert. Sie ist selbst betroffen. 2002 stieß sie zu dem Verein, der seit 1977 Selbsthilfegruppen für Suchtgefährdete und Suchtkranke anbietet. Inzwischen hat sie sich zur Suchtkrankenhelferin und zur Suchtkrankenberaterin ausbilden lassen und hilft anderen.

„Einige unserer Mitglieder sind auf diese Art geschult“, erzählt Japtok. In den Gruppen des Vereins Gruppe 77 ist Alkohol das häufigste Problem. Aber auch bei Medikamentensucht und der Sucht nach Cannabis oder illegalen Drogen gibt es hier Unterstützung. „Das Suchtverhalten ist bei allen Süchten ähnlich gelagert, nur die Suchtmittel sind verschieden“, sagt Japtok. Bei speziellen Süchten wie etwa der Spielsucht nutze man den guten und engen Kontakt zur Suchtberatungsstelle in der Breite Straße 14 in Barsinghausen. Im Bereich der Prävention arbeite die Gruppe 77 mit der Barsinghäuser KGS-Goetheschule und der Sophie-Scholl-Gesamtschule in Wennigsen zusammen.

Gruppe 77-Vorsitzender Rüdiger Seidel kommt seit 40 Jahren zu der Selbsthilfegruppe. Er war 30 Jahre Gruppensprecher und ist seit 2017 im Vorstand. Über seine eigenen Suchterfahrungen spricht auch er offen. Und darum gehe es auch in den Selbsterfahrungsgruppen, betont Seidel: „Ehrlich zu sein zu sich selbst und zu anderen.“ Was in der Gruppe besprochen wird, bleibt vertraulich. Eine Selbsthilfegruppe bietet einen geschützten Raum.

Zu Beginn jeder Gruppenstunde gibt es eine sogenannte Blitzrunde, in der jede und jeder zwei Minuten Zeit bekommt, über die vergangene Woche und alles das zu sprechen, was sie oder ihn gerade beschäftigt. Anschließend werde auf die angesprochenen Schwierigkeiten und Probleme eingegangen, sagt Seidel. Auch hätten die Gruppenleiter immer einen Vorrat an Themen parat. „Manchmal sprechen wir auch nur über Gott und die Welt“, sagt Seidel. Irgendwie komme man dann aber doch immer wieder zurück auf das eigentliche Thema.

„Wichtig ist Achtsamkeit. Jeder ist rückfallgefährdet“, sagt die Vizevorsitzende Japtok und hat einen schönen Vergleich parat. Es sei, als wenn man immer wieder den Schorf von einer Wunde abkratze, habe ein Gruppenteilnehmer einmal seine Gefühle beschrieben, sagt sie. Denn bei den Gruppengesprächen werde man bewusst daran erinnert, dass die Sucht nie aufhöre. Um einem Rückfall vorzubeugen, werde gezielt verhindert, dass die „Wunde“ verheile und das Thema verdrängt und vergessen werde.

Alkoholabhängigkeit ist eine chronische Erkrankung, die schwerwiegende Folgeschäden auslösen kann. Man könne damit aber durchaus alt werden, müsse allerdings am Ball bleiben, sagt Japtok. Regelmäßiger Alkoholkonsum erhöhe etwa das Risiko für bestimmte Krebserkrankungen im Mund- und Rachenraum, für Kehlkopf-, Speiseröhren-, Brust-, Leber- und Darmkrebs. Auch der Gründer der Gruppe 77, Bernd Leuschner, sei an Krebs gestorben, sagt Japtok.

Man unterscheide zwischen verschiedenen Trinkertypen. Er selbst sei ein Spiegeltrinker gewesen, der immer ein gewisses Maß an Alkohol im Blut haben musste, um funktionieren zu können, sagt Seidel. Japtok hingegen war eine sogenannte Quartalstrinkerin. Sie habe trockene Phasen von mehreren Monaten gehabt, denen heftige Abstürze gefolgt seien, erzählt sie.

In den Selbsthilfegruppen begegne man sich auf Augenhöhe und helfe sich gegenseitig, Telefonnummern würden ausgetauscht. Die Altersstruktur umfasse die komplette Bandbreite „von knapp 18-Jährigen bis zu über 80-Jährigen“. Seidel und Japtok können beide bestätigen, dass das Einstiegsalter in eine Sucht innerhalb der vergangenen Jahre deutlich gesunken sei. Nicht zuletzt deshalb gehe der Verein Gruppe 77 auch in Schulen, um dort Präventivarbeit zu leisten.

Die Gruppe 77 bietet mehrere Selbsthilfegruppen an. Ab sofort sind es vier in Barsinghausen. Denn auch die Frauengruppe aus Ronnenberg trifft sich ab Montag, 24. Februar, von 17 bis 19 Uhr nicht mehr in Empelde, sondern ebenfalls in den Vereinsräumen an der Osterstraße 18. Auch in Gehrden gibt es eine Gruppe.

Der Verein möchte durch den neuen Treffpunkt für die Frauengruppe eine bessere Erreichbarkeit auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gewährleisten. Darüber hinaus sollen durch die zeitliche Verschiebung des Treffens auf den späten Nachmittag auch berufstätigen Frauen eine bessere Möglichkeit zur Teilnahme haben.

Die anderen Selbsthilfegruppen sind gemischte Gruppen mit Männern und Frauen. Zu den Teilnehmenden zählten sowohl Betroffene als auch Angehörige, sagt Seidel. Was zudem wichtig sei: „Man muss kein Vereinsmitglied sein, um vorbeikommen zu können. Jede und jeder ist willkommen.“

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