Sexuelle Übergriffe: „Mögliche Gefahren frühzeitig erkennen“
Prävention im SV Ihme-Roloven: Zahlreiche Betreuungskräftehaben eine Zusatzausbildung absolviert

Etappenziel erreicht (von links): Cornelia Schelinski, die beiden Vertrauenspersonen Uwe Franke und Bärbel Uffelmann-Haase, Dagmar Ernst (RSB), Ulrich Böckmann, Alexander Wurz, Vereinsmanager Ralf Thormann und Melanie Steinicke (LSB).Foto: Ingo Rodriguez
Ihme-Roloven. Der SV Ihme-Roloven hat gelernt: Um Kinder und Jugendliche im Verein vor sexualisierter Gewalt zu schützen, braucht es geschulte Blicke und sensible Antennen. Das haben sich Übungsleiter beim Landessportbund (LSB) und beim Regionssportbund (RSB) jetzt angeeignet.

Es sind Situationen, die zunächst unbedenklich erscheinen, aber folgenschwer sein können und deshalb bereits im Vorfeld besser unterbunden werden sollten. „Wenn etwa ein erwachsener Übungsleiter ein Kind nach dem Training ohne weitere Begleitung nach Hause bringen will“, sagt Ralf Thormann vom SV Ihme-Roloven als Beispiel. Es müsse zwar in solchen Situationen nicht zwingend zu einem Übergriff zulasten des Kindes kommen. „Wir haben jetzt aber in mehreren Workshops gelernt, mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen und darauf zu reagieren“, sagt Vorstandsmitglied Thormann.

Der zertifizierte Vereinsmanager beschreibt so auch ein grundsätzliches Ziel des Präventionsprogramms mit dem Titel „Verein(t) gegen sexualisierte Gewalt im Sport“. Um Kinder und Jugendliche des SV Ihme-Roloven vor Grenzüberschreitungen möglichst gut zu schützen, haben Betreuungskräfte aus dem Trainings- und Spielbetrieb an diesem Beratungsprozess teilgenommen.

Angeboten wird das Programm von der Sportjugend des LSB und des RSB in mehreren kostenlosen Workshops. Zum Präventionsprofil zählt auch die Ausbildung von Vertrauenspersonen.

Nach dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung wurde der SV Ihme-Roloven jetzt zertifiziert und mit einer Prämie in Höhe von 1000 Euro belohnt. „Als dritter Verein im gesamten Umland der Region Hannover“, berichtet Dagmar Ernst vom RSB. Sie war auch bei den insgesamt fünf Sonnabendworkshops im Vereinsheim des SV Ihme-Roloven dabei – ebenso wie Mentoren und mehrere Präventionsexperten. Teilgenommen haben mehr als zehn Übungsleiterinnen und Übungsleiter aus verschiedenen Sparten. „Es sind fast alle, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben“, sagt Thormann.

Er beschreibt die Hintergründe so: Einige Zeit vor der Teilnahme sei ein Fall von sexueller Belästigung eines Kindes durch einen Lehrer und Übungsleiter durch die Presse gegangen. Wegen des Amtsmissbrauchs habe sich der Vorstand Gedanken über eine mögliche Prävention gemacht und sei dabei auf das Programm von LSB und RSB gestoßen.

Die Workshops vermittelten den Betreuungskräften des Vereins mögliche Vorgehensweisen, um den Nachwuchs besser zu beschützen. „Es geht darum, die Sinne für Verhaltensweisen zu schärfen und sich für Gefahrensituationen zu sensibilisieren“, sagt Thormann. Er nennt ein weiteres Beispiel: „Natürlich sollte man als Übungsleiter nicht unangekündigt und plötzlich in eine Umkleidekabine und schon gar nicht in einen Duschbereich hereinplatzen.“ Die Lerninhalte aus den Workshops sollen demnach auch das Trainingspersonal davor schützen, unbewusst mögliche Grenzen zu überschreiten. Auch der Umgang mit Verdachtsfällen und möglicherweise zu Unrecht geäußerten Beschuldigungen sei thematisiert worden. „Wir haben gemeinsam Leitlinien und ein Regelwerk erarbeitet“, berichtet Thormann.

Um das Zertifikat zu erhalten, war es auch notwendig, zwei Vertrauenspersonen als Ansprechpartner im Verein auszubilden – ein männliches und ein weibliches Mitglied. Dafür haben sich mit Uwe Franke ein Vorstandsvertreter und die frühere Vorsitzende Bärbel Uffelmann-Haase zur Verfügung gestellt. Beide haben auch noch ein Spezialseminar über den Umgang mit sexualisierter Gewalt besucht. Sie vermitteln künftig unter anderem geeignete Anlaufpunkte für Betroffene und Hinweisgebende. Darauf wird nun auch im Vereinsheim per Aushang hingewiesen. Außerdem gibt es einen Briefkasten, in dem Vorfälle oder Verdachtsmomente in Textform als Meldungen hinterlassen werden können. Thormann ergänzt: „Künftig gehört der gesamte Themenkomplex auch bei Trainerausbildungen zu den Pflichtfächern.“

Wie RSB-Vertreterin Ernst berichtet, ist der SV Ihme-Roloven nach dem Tischtennisverein (TTV) Seelze und der Turnerschaft Großburgwedel (TSG) erst der dritte zertifizierte Umlandverein in der Region. „Pro Jahr nehmen aber etwa vier bis fünf weitere Vereine an dem Programm teil“, so Ernst. Angesichts von mehr als 600 Sportvereinen in den Umlandkommunen der Region sei trotzdem für einen Ausbau der Prävention noch viel „Luft nach oben“. Sie wirbt um Teilnahmen: Die Workshops seien für die Vereine kostenlos: „Das Projekt wird von der LSB-Sportjugend finanziert“, berichtet Ernst.

Mit einer einmaligen Zertifizierung ist es allerdings nicht getan: Wegen der gewöhnlichen Fluktuation von Betreuungspersonal muss das Gütesiegel zunächst nach vier Jahren und dann im Zweijahresrhythmus erneuert werden. Beim SV Ihme-Roloven ist der erste Beratungsprozess abgeschlossen. Die LSB-Vertreterin Melanie Steinicke lobt das Engagement. Der Verein habe einen Beitrag geleistet, damit „Kinder und Jugendliche sicherer Sport treiben können“, so Steinicke.

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