Gerade erst hat der Experte aus Springe den Zustand des Baumes im Auftrag der Region untersucht, um notwendige Pflegemaßnahmen festzulegen. Sein Gutachten ist noch in Arbeit, Sorgen macht er sich um das uralte Gewächs aber nicht. Venzke kennt die Eiche gut. Schon seit gut 15 Jahren beschäftigt er sich mit dem stattlichen Baum, der an der Dorfstraße unweit der Kreuzung mit der Landwehrstraße zu finden ist – im Zentrum des Dorfes. Vor allem aus den vergangenen 50 Jahren kann der Gutachter über eine bewegte Geschichte der Eiche berichten.
Laut der Internetplattform Wikipedia wird der Baum in Vörie als „Tausendjährige Eiche“, gelegentlich auch als „Achthundertjährige Eiche“ oder „Wappen-Eiche“ bezeichnet. „Das wirkliche Alter lässt sich nicht nachweisen“, sagt Venzke. Der Stamm ist innen durchgehend hohl, sodass keine Jahresringe mehr vorhanden sind. Der Gutachter schätzt, dass der Baum zwischen 400 und 600 Jahre alt ist. Der massive Stamm beeindruckt aufgrund seines großen Umfangs, laut Wikipedia betrug dieser im Jahr 2019 exakt 7,73 Meter.
Der hohle Stamm deutet bereits darauf hin, dass der Baum buchstäblich nicht kerngesund ist. Pilze wie der Schwefelporling und die Ochsenzunge befallen die Eiche immer wieder. In der Vergangenheit hat es deshalb viele Versuche gegeben, den fast 20 Meter hohen Koloss zu stabilisieren. Baumchirurgen hätten in den Siebziger- und Achtzigerjahren versucht, das faule Material in der Eiche auszuhöhlen und Stahlstreben in einer Öffnung auf der Nordseite des Stamms zu verankern, berichtet Venzke. Alles ohne nachhaltigen Nutzen. Der Gutachter selbst hatte 2012 gemeinsam mit Schülern der Justus-von-Liebig-Schule in Hannover eine Drahtseilsicherung in der Krone angebracht, die noch heute zu sehen ist.
Die wohl schlimmsten Erschütterungen in ihrer langjährigen Existenz erfuhr die Eiche dann 2014 und 2019, als jeweils ein Blitz in den Stamm einschlug und diesen in Brand setzte. 2014 dauerte es rund eine Stunde, bevor das Feuer im Inneren des hohlen Baumes überhaupt entdeckt wurde. Das Löschen war für die Mitglieder der freiwilligen Ortswehr eine Marathonaufgabe: Rund 800 Grad wurden im Inneren des Stamms gemessen. Mehr als 20 Stunden dauerte es, bis der Einsatz beendet war.
In der Zwischenzeit hatten die Brandbekämpfer mehrere Schächte in den Stamm gesägt, um diesen von oben mit Löschschaum befüllen zu können. Die ganze Wiese ringsherum sei mit dem Schaum bedeckt gewesen, berichtet Venzke, der die Löscharbeiten beobachtet hatte.
Was dann passierte, ist bis heute ein biologisches Rätsel, das noch nicht gelöst ist: Der Baum starb nach dem Feuer – entgegen aller Befürchtungen – nicht ab, sondern brachte „enorme Zuwächse hervor“, wie der Gutachter es formuliert. Fachleute können sich dies nur als Folge des Einsatzes mit proteinhaltigem Löschschaum erklären. Dieser könnte sich, so ihre These, im Boden zu einer Art Dünger zersetzt haben. „Das wirkt wie ein Jungbrunnen auf die Eiche“, sagt Venzke.
Beim zweiten Brand 2019 nahm der Baum weniger Schaden. Lediglich das abgestorbene Material im Inneren sei verbrannt, erläutert Venzke, das frische Holz dagegen habe den Flammen standgehalten. Auf Sicherheitsschnitte am Astwerk wie nach dem ersten Brand wurde verzichtet.
Bereits 1934 war die „Tausendjährige Eiche“ zum Naturdenkmal erklärt worden. Etwa zur selben Zeit übernahm die Familie von Jürgen Reinecke den Hof, auf dessen Grundstück sie steht. Der berühmte Baum ist heute aber auch eine Last für die Reineckes. Vielen Neugierigen reicht es nämlich nicht, ihn aus etwa fünf Metern Entfernung anzusehen – sie steigen über den Zaun, den die Familie vor einigen Jahren bis an den Gehweg versetzt hat. Jetzt ist dieser auch noch mit Stacheldraht versehen, zudem wird der Baum videoüberwacht.
Hinzu kommt, dass das Grundstück auch an der Radwegverbindung zwischen Hannover und dem Deister liegt. Viele Radler hätten die Chance genutzt, sich auf diesem Weg an der Scheune der Familie zu erleichtern, heißt es. Mit der Versetzung des Zauns wurde nun die stille Ecke aufgelöst. Obendrein wurde der Baum so vor urinierenden Passanten geschützt.
Finanziell ist die Eiche für die Reineckes übrigens ein Minusgeschäft: Für die Fläche, auf der der Baum steht, müsse er die volle Grundsteuer entrichten, sagt der Grundstückseigentümer. Nutzen darf er den Bereich indes nicht. Das ist zum Schutz des Baumes verboten – andernfalls droht eine Strafe von bis zu 50.000 Euro.