„Unser Ansinnen war es, alle Aspekte, die es jemals gegeben hat, zu sammeln und eine Schlussfolgerung zu ziehen“, erklärt Temps. Dass die zeitliche Einordnung der Wallanlage so schwierig ist, basiert laut dem Hobbyhistoriker auf einem simplen Fakt: „Auf solch einen Berg geht ja jeder mal hinauf – und jeder hat dort etwas verloren.“ So hätten Scherbenfunde bei Ausgrabungen zur NS-Zeit in den Dreißigerjahren zunächst eine Zuordnung zum norddeutschen Germanenstamm der Cherusker zur Folge gehabt.
„Das wurde in dieser Zeit ideologisch ausgeschlachtet“, sagt Heine. Kurzerhand sei der ebenfalls bei den Grabungen gefundene Spitzgraben im Fels den Germanen zugeschrieben und behauptet worden, die Römer hätten diese Festungsbaukunst von den „Barbaren“ übernommen – und nicht umgekehrt. „Eine mutige Behauptung“, kommentieren die Autoren in ihrem Heft. Es sei wohl unbestritten, dass die Römer in ihrer Entwicklung den Germanen voraus waren. Diese Erkenntnisse nur auf Grundlage von Scherbenfunden umzustoßen, sei ihres Erachtens wissenschaftlich zweifelhaft.
Entdeckt wurden auf dem Burgberg in der Vergangenheit auch Werkzeuge aus Feuerstein, Pfeilspitzen aus der Jungsteinzeit und der Bronzezeit sowie eine römische Münze. Es zeigt sich, dass sich im Laufe der Jahre immer wieder Menschen an dieser Stelle aufgehalten haben. Die Zeitansätze, die Historiker zu Grunde legen, die sich mit der Wallanlage beschäftigt haben, schwanken zwischen der Zeit um Christi Geburt und dem frühen Mittelalter. Klarere Erkenntnisse ergab auch eine Grabung aus dem Jahr 2013 nicht, die Studenten der Freien Universität Berlin unternommen hatten.
Eine völlig neue Situation habe sich mit dem Fund des römischen Marschlagers in Hemmingen-Wilkenburg im Jahr 2015 ergeben, sagt Hobbyhistoriker Temps. „Die in Gehrden gefundene Münze ist identisch mit denen aus Wilkenburg. Gibt es da einen Zusammenhang, oder ist das Zufall?“ Einen Zusammenhang könne man nur konstruieren. Möglich sei auch, dass germanische Kaufleute die Münze mitgebracht hätten.
Die Autoren gehen in dem „Gelben Heft“ auch auf die Marschrouten der Römer ein und thematisieren, ab wann diese in die hiesige Region gekommen sind. Ihre Vermutung: Der Durchmarsch der römischen Truppen auf ihrem Weg vom Rhein zur Elbe führte von der Nordspitze des Deisters zum Marschlager Wilkenburg. Wer diesen Weg nahm, „musste an Gehrden vorbei“, schreiben Heine und Temps. Die Wallanlage auf dem Burgberg könnte laut den Hobbyhistorikern für die Römer eine Signalanlage gewesen sein, von der Lichtsignale mit Fackeln oder akustisch mit Hörnern ausgesendet wurden. Das Lager in Wilkenburg befand sich in Sichtweite.
Eine zweite Möglichkeit zur zeitlichen Deutung der Wallanlage sehen die Autoren in einer frühmittelalterlichen Befestigung in der Zeit der Sachsenkriege von 772 bis 807 n. Chr. „Das Kriegsgeschehen berührte auch unsere Region im Jahr 782″, schreiben sie. Doch wer hat die Anlage erbaut, die Sachsen oder die Franken? Für Erstere wäre es in ihrer defensiven Rolle nicht von Vorteil gewesen, „befestigte Anlagen an einer exponierten Stelle auf einem weithin sichtbaren Berg zu errichten“. Diese Tatsache und der Umstand, dass die Franken sich stark an antiken Bauformen wie dem Spitzgraben orientiert hätten, spreche eher für die angreifenden Okkupierer.
„Anzunehmen ist, dass die Wallanlage im Laufe der Jahrhunderte mehrfach benutzt worden ist“, fasst Heine zusammen. Diese habe wohl zum Schutz vor Feinden, aber auch als Beobachtungsanlage gedient. „Unser Traum ist, dass man dort irgendwann mal etwas findet, womit man nachweisen kann, welche vorrangige Nutzung die Anlage tatsächlich gehabt hat“, sagt der Autor. Einen endgültigen Beweis gebe es bisher nicht.
Das erste „Gelbe Heft“ der Heimatbund-Gruppe Gehrden, zu der fünf Mitglieder gehören, erschien vor etwa 15 Jahren und hatte damals noch ein kleineres Format. Heute hat es eine Größe von DIN A4, um die Bilder größer und anschaulicher zu zeigen. Die Impulse zu historischen Themen wie Zweiter Weltkrieg, Gastronomie, Schule, Gewerbe oder Bauernhöfe kommen aus dem Team, aber auch aus Zeugenberichten und Archivauswertungen. Die Hefte sind sehr beliebt und schnell vergriffen. Die aktuelle Ausgabe ist bereits für 5 Euro in der Stadtbücherei am Rathaus, in der Buchhandlung Lesezeichen am Steinweg und auf dem Hof Hundertmark an der Großen Bergstraße erhältlich.