„Ich würde es nicht noch einmal machen, aber ich bereue nichts.“ Mit diesen Worten resümiert Neumeister seinen Werdegang als Kneipier, der 1988 recht spontan begann. Damals arbeitete er in der Logistikabteilung einer Gehrdener Druckerei. Mit seinem Freund und späteren Geschäftspartner Karsten Wölk machte er eine Wanderung zum Nordmannsturm. Nach einem offenbar inspirierenden Gespräch mit dem damaligen Wirt beschlossen die beiden: „Vielleicht sollten wir auch mal eine Kneipe aufmachen.“
Am 3. März 1988 übernahmen sie das „Café Pepp“ an der Osterstraße und machten daraus eine Kneipe, die in ihren Hochzeiten nicht nur Einheimische, sondern auch viele Leute von außerhalb anzog. „Es kamen viele junge Leute, Schüler, Studenten, aber auch Rentner. Im ‚Pepp‘ war eigentlich alles vertreten“, erinnert sich Neumeister.
1990 bekamen Neumeister und Wölk den Tipp, dass das „Penny“ (hieß zwischenzeitlich „Schwips“) auf der Deisterstraße abzugeben war. Sie kauften das Gebäude, renovierten und eröffneten es neu. Ein halbes Jahr später kam an der Ecke Schulstraße der „Max Biergarten“ dazu. Bis zur Corona-Zwangspause waren „Max“ und „Penny“ im Grunde eins, durch eine Tür miteinander verbunden .
Die ersten Jahre seien „selige Zeiten“ gewesen. Damals galt noch der etwas despektierliche Spruch „Wer nichts wird, wird Wirt.“ Nahezu jeder konnte eine Gaststätte eröffnen – und sie lief. „Siedlerklause“, „Zille“, „Schinderhannes“, „Chapeau Claque“, „Ratskeller“, die Bahnhofskneipen in Barsinghausen und Egestorf, die Suhle, Gasthaus Reinecke, Gasthaus zur Post, Gasthaus zur Schweiz, der Klosterkrug, die Emmaquelle – die Barsinghäuser hatten die Qual der Wahl. Nicht selten öffneten die Kneipen bereits am Vormittag. Frühschoppen wurde damals noch ohne „Jazz-“ geschrieben. Auch das „Max“ öffnete ab Mitte der 1990er-Jahre bereits um 10 Uhr. „Die Rentner haben hier morgens ihr Körnchen getrunken“, sagt Neumeister.
Alleine „unterhalb der Bahn“ (heute die Nordstadt), erinnert sich der „Max“-Wirt, habe es an die 20 Kneipen gegeben. „Es gab keine Handys und kein Internet. Die Leute haben sich getroffen und wollten sich unterhalten.“ So erklärt sich „Neumi“ den Umstand, warum früher deutlich mehr Menschen in Kneipen gegangen sind. „Ich glaube nicht, dass es am Geld liegt, dass die Leute heute seltener weggehen. Geselligkeit war einfach angesagter.“
Und die kann Neumeister bedienen wie kein Zweiter. Während er zapft, hört er den Stammgästen am Tresen zu, spricht mit ihnen, macht Scherze, äußert sich zu ernsteren Themen und lässt sie auch mal motzen. „In einer Kneipe wird immer gemeckert“, sagt er lachend. Neumeister sagt, er könne beim Eintreten des Gastes innerhalb kürzester Zeit erkennen, ob die Person Kontakt sucht oder eher ihre Ruhe haben will. Ein guter Gastwirt sei ein Kommunikator und ein Mensch, der Leute miteinander verbinde, so Neumeister.
Auch in Barsinghausen vollzog sich das Kneipensterben schleichend. Irgendwann um die Jahrtausendwende waren die meisten sogenannten Eckkneipen verschwunden. Das Rauchverbot in Gaststätten (2007) tat sein Übriges. Das „Max“ lief weiterhin gut, Neumeister entschied sich aber, das „Penny“ zum geforderten Raucherraum umzufunktionieren, um den rauchenden Teil seiner Gäste nicht zu vergrätzen.
Dann kam Corona und versetzte vielen Kneipen den Todesstoß. Sie mussten für mehrere Monate schließen. Die enormen Umsatzverluste konnten viele nicht verkraften. Das „Max“ ist hingegen immer noch da. Allerdings hat „Neumi“ das Frühschoppen-Angebot eingedampft. „Nach Corona sind die meisten älteren Herren nicht wiedergekommen“, sagt Neumeister. Jetzt gibt es im „Max“ nur noch freitags bis sonntags ein Frühschoppen am Vormittag.
Die Küche, mit dem typischen Kneipenangebot wie Salat und belegtem Baguette war, zu dem Zeitpunkt bereits dicht, um Personalkosten zu sparen. Seitdem kooperiert er mit der Pizzeria „Da Adamo“ im Untergeschoss. Neumeisters Gäste können sich dort etwas zu essen bestellen und es in seinen Räumen verzehren. „Ist eine Win-win-Situation“, sagt er. Auch arbeitet jetzt pro Tresenschicht in der Regel nur noch eine Person. Wird es mal eng, helfen jetzt eher mal seine bereits erwachsenen Kinder aus.
Kommt man heute gegen 17 Uhr ins „Max“ ist der Laden bereits gut gefüllt. Zehn bis 15 Gäste – um diese Zeit zumeist Männer – sitzen an den Tischen und trinken ein Wasser oder ein Feierabendbier – und immer häufiger auch einen Wein. „Früher hatte ich gerade mal einen Weißen und einen Roten im Angebot. Heute sind es sieben verschiedene Weine“, sagt „Neumi“. Seine Gäste würden eben auch nicht jünger. Erst vor Kurzem hat er seinem Winzer einen Besuch abgestattet und neuen Wein bestellt.
Warum das „Max“ dem Kneipensterben ringsherum trotzt? „80 Prozent meiner Gäste sind Stammkunden“, erklärt Neumeister. Und offenbar gelingt es ihm, neue Gäste zu integrieren. Für Neubürger gebe es in Barsinghausen drei Möglichkeiten, Anschluss zu finden: „Du trittst in einen Verein ein, du hast einen Hund, oder du gehst in die Kneipe“, zählt Neumeister auf. „Hier bei uns kommst du sofort in Kontakt mit anderen, das ist die einfachste Möglichkeit.“
„Neumi“ ist zudem sportbegeistert. Er hat Handball beim TSV Barsinghausen (heute HVB) gespielt und ist 96-Fan. Bis zur Renovierung während der Corona-Schließung hing die Kneipe voller Fußballschals. Seit Jahren ist nach den Spielen der Handballherren in der nahen Glück-Auf-Halle der Laden voll. Die Kicker des TSV Barsinghausen geben sich ebenfalls regelmäßig ein Stelldichein.
Trotzdem würde Neumeister heutzutage niemandem mehr raten, Kneipenwirt zu werden. Das sei zwar im Grunde ein super Job. „Du lernst so viele Leute kennen und bleibst jung im Kopf“, zählt er auf. „Aber heute verbringst du zu viel Zeit mit der Dokumentation von allem Möglichen und der Bürokratie. Ich liebe aber keine Zahlen, ich liebe Menschen.“
Er will jetzt noch sieben Jahre weitermachen und dann gemeinsam mit seiner Frau Anja in Ruhestand gehen. Doch ob es dann ganz vorbei ist für ihn mit seiner Kneipe und seinen Stammgästen, von denen nicht wenige auch seine Freunde sind? „Ich weiß nicht, ob ich so ganz ohne kann“, sagt „Neumi“, dann stellt er sich hinter den Tresen und zapft das erste Bier des Tages.